Mit laufender Musik auf dem Handy steigen die Jugendlichen in Zuoz GR aus dem Zug. Die einen mit sportlichen Rucksäcken, andere mit schwerfälligen Koffern. Obwohl alle zwischen 14 und 18 Jahre alt sind, könnten ihre Hintergründe unterschiedlicher kaum sein.
Noch sind die Schüler*innen des Regionalen Intensivkurses (RIK+) Burgdorf und die Gymnasialklasse Muristalden etwas getrennt unterwegs. Als dann aber einer die steile Strasse auf dem Koffer sitzend hinunterrollt, bricht gemeinsames Gelächter aus und die Gruppe durchmischt sich langsam. In reger Plauderlaune treffen die beiden Klassen in ihrer Unterkunft in Zuoz ein. Eine solch vielfältige Gruppe hat die Bildungswerkstatt wohl noch nie in ein Lager führen dürfen. Ein Sprachengewirr aus breitem Berndeutsch, schnellem Tigrinya, fröhlichem Arabisch und stockendem oder auch fliessendem Hochdeutsch. Doch eines ist allen Jugendlichen gemein: die Spannung darauf, was sie in dieser Woche erwarten wird.
Covid-19 erschwert Projektstart
Vor rund 3 Jahren schon hatten wir die Idee, mit asylsuchenden und Schweizer Jugendlichen gemeinsam eine Woche lang im Wald zu arbeiten. So haben Jugendliche die Möglichkeit, nebst der Arbeit im Wald auch Gleichaltrige unterschiedlicher Herkunft und in anderen Lebenssituationen kennen zu lernen – auf Augenhöhe in einem für alle neuen Umfeld. Aufgrund Covid-19 fiel die eigentlich im Frühling geplante Woche aus. Umso erfreulicher, dass kurzfristig zwei neue Schulklassen bereit waren, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.
Der erste Morgen; Lana (15) sieht sich auf dem Fällplatz aufmerksam um und beobachtet die beiden Gruppen, die sich dem Fällen eines Baumes widmen. Was sie sich von dieser Woche erhofft? «Vielleicht ergeben sich ja neue Bekanntschaften? Ich freue mich jedenfalls darauf, die Leute kennen zu lernen und auch mehr über die unterschiedlichen Länder zu hören.»
Als sie gefragt wird, was sie in dieser Woche von den Jugendlichen der RIK-Klasse lernen könnte, denkt sie kurz nach: «Ihre Dankbarkeit und Wertschätzung für die normalen und für uns alltäglichen Sachen. Zu oft vergesse ich, was wir für Privilegien geniessen dürfen. Zum Beispiel jetzt gerade: Ich muss mich schon ein bisschen überwinden und unsere Gruppenmitglieder von der RIK-Klasse sind voll Feuer und Flamme, auch für die anstrengenden Arbeiten.» Etwas schade findet sie, dass nicht alle aus ihrer Klasse mit in die Lagerwoche durften. Deren Eltern hatten Vorbehalte bezüglich dieses Kulturaustausches.
… obwohl es streng ist, macht es auch viel Spass, mit so vielen verschiedenen Leuten aus ganz unterschiedlichen Ländern zusammenzuarbeiten.»
Layla, 17 Jahre alt und geht an die Gymanisumsschule in Osnabrück
Glänzende Augen bei Zukunftsplänen
Mit Lana in der Arbeitsgruppe ist Marta (18) aus Eritrea. Gekonnt schlägt sie mit der Axt eine Fallkerbe ins Holz. Dass sie das nicht zum ersten Mal macht, erkennt man sofort an ihren kraftvollen Schlägen. Zuhause in Eritrea habe sie oft Holz klein gehackt, bestätigt sie. Marta ist mit ihrer ganzen Familie in der Schweiz, aber ihre Freundinnen vermisst sie sehr. Da diese in Eritrea kein Handy besitzen, fehlt ihr die Möglichkeit, mit ihnen in Kontakt zu bleiben. «Und in der Schweiz kenne ich noch nicht so viele Mädchen - aber das wird sich diese Woche vielleicht ändern», erklärt sie mit einem scheuen Lächeln.
Bei der Frage, was sie werden möchte, fangen ihre Augen an zu glänzen. «Köchin oder Verkäuferin würde mir sehr gut gefallen. Ich durfte in beiden Berufen schnuppern und hätte diesen Frühling bei der Migros ein zweites Mal als Verkäuferin schnuppern können - was aufgrund Covid19 aber dann nicht möglich war. Mein Vater wünscht sich zwar, dass ich Krankenschwester werde - aber mir gefällt Verkäuferin besser.»
Mitorganisiert und begleitet wird diese Waldprojektwoche durch Gasim Nasirov, welcher bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe arbeitet. An zwei Abenden bringt er die Jugendlichen mit den Themen Flucht, Migration und Toleranz in Berührung. Gemeinsam werden mögliche Beweggründe für eine Flucht aus dem eigenen Land und die Folgen davon erörtert.
An den Abenden kommt natürlich auch der Spass nicht zu kurz und als jede Nation ihre traditionelle Musik abspielen darf, schwingen alle gemeinsam das Tanzbein.
Sprachbarrieren gibt es viele und auch in Gesprächen sind die Jugendlichen eher zurückhaltend. Auf den Arbeitsplätzen ist davon aber wenig zu spüren: Beim Fällen eines Baumes muss in erster Linie die Berechnung stimmen, das Timing und dann die Muskelkraft. Beim gemeinsamen Sägen braucht es gute Team-Arbeit: Und das funktioniert hier trotz unterschiedlichen Muttersprachen hervorragend.